Sonderseelsorge ist weiter erforderlich

von Norbert Block

Die Integration der Heimatvertriebenen sei zwar bereits vor Jahrzehnten gelungen, dennoch würden immer noch Frauen und Männer, die den Krieg miterlebt haben, unter den Spätfolgen von Gewalt, Hunger, Verlust, Flucht und Vertreibung leiden. „Vielfach sind auch die Kinder der ehemaligen Kriegskinder meist unbewusst von den traumatischen Erlebnissen ihrer Eltern betroffen und geprägt“, betont Norbert Block, Vorsitzender des Vereins Ermlandfamilie, der die katholischen Heimatvertriebenen, Flüchtlinge, Aussiedler und deren Nachkommen aus der Diözese Ermland (Ostpreußen) vertritt. Er beruft sich dabei auf neuste Erkenntnisse von Forschern wie Andreas Kossert, der seit Januar 2010  als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung tätig ist. Mehr als 50.000 Katholiken in Deutschland bekennen sich noch heute zu ihren ermländischen Wurzeln.

Vor diesem Hintergrund bedauert Block das von der Deutschen Bischofskonferenz bereits 2011 beschlossene Auslaufen der Sonderseelsorge im Jahr 2016. Leider würden auch Vereinen wie der Ermlandfamilie, die die Arbeit in kirchlicher Tradition fortsetzen sollen, durch die Bischofskonferenz hohe Hürden gesetzt. „Um auch künftig geringfügige Fördermittel erhalten zu können, sollen per Satzungsbestimmungen seit Jahrzehnten bewährte Strukturen der Ermlandfamilie ohne Not zerschlagen werden“, so Block. Die Ermländer, die anders als die meisten anderen katholischen Vertriebenenorganisationen bereits seit 2012 keinen mehr von der Bischofskonferenz eingesetzten Visitator als Sonderseelsorger haben, zeigen dafür kein Verständnis. Dennoch sei man weiter bereit, mit der Bischofskonferenz nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen, fügt Block hinzu.

Zuvor hatte der von der Deutschen Bischofskonferenz mit der Vertriebenenseelsorge beauftragte Erfurter Weihbischof Dr. Reinhard Hauke in einem Gespräch mit der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) das Auslaufen der "überdiözesanen Sonderseelsorge" im Jahre 2016 verteidigt. Allerdings gebe es immer noch rund 900.000 Katholiken in Deutschland, die von Flucht und Vertreibung betroffen waren, betonte Weihbischof Hauke, der selber Kind schlesischer Flüchtlinge ist. „Wir können das also nicht alles einfach aufgeben, müssen die Strukturen aber auch nicht bis zuletzt aufrechterhalten“, sagte er im KNA-Gespräch. Ob es weiterhin einen Vertriebenenbischof geben werde, lässt er offen. „Ich halte das nicht unbedingt für erforderlich, aber doch für sinnvoll“, fügte er hinzu.

Nach Ansicht von Hauke stünden für die Bischöfe dabei die Bemühungen der Heimatvertriebenen „um die Bewahrung ihrer Traditionen, ihre Erinnerungskultur und Versöhnungsarbeit“ im Mittelpunkt. Flucht und Vertreibung gehörten ganz wesentlich zur Geschichte der Bundesrepublik und der Kirche, so Hauke im KNA-Gespräch. Viele Heimatvertriebene wollten zudem Kontakt zu ihrer alten Heimat halten und auch die christliche Kultur dort unterstützen.

„Heimatvertriebene Katholiken helfen, Kirchen und Gedenkstätten in den Herkunftsländern zu restaurieren, oder sie fördern Schulen und Ausbildung dort“, erläutert der Vertriebenenbischof. Er verweist auf die „Aktion West-Ost“, die als Dachverband von vier katholischen Jugendverbänden der Heimatvertriebenen Begegnungen mit Jugendlichen aus Ost- und Mitteleuropa organisiert.

Mit ihrer Jugendgruppe „Gemeinschaft Junges Ermland“ als Mitgliedsgruppe der "Aktion West-Ost" trage die Ermlandfamilie seit Jahren erfolgreich zu diesen deutsch-polnischen Jugendbegegnungen bei, die innerhalb der Bundes der katholischen Jugend (BDKJ) eine hohe Anerkennung erfahren, betonte Block. Um diese Arbeit aber tragen zu können, müsse aber auch der Erwachsenenverband eine entsprechende Wertschätzung durch die Bischofskonferenz erfahren. Die Ermlandfamilie habe darüber hinaus seit Jahrzehnten hervorragende Kontakte zum polnischen Erzbistum Ermland, die sich unter anderem durch ein Büro im Ordinariat in Olsztyn (Allenstein) zum Ausdruck bringt. Von dort wird insbesondere die deutschsprachige Seelsorge im Erzbistum Ermland organisiert.

Weihbischof Hauke und der ebenfalls aus einer Vertriebenenfamilie stammende Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt haben zugleich eine Verbindung zwischen der damaligen Vertreibung und dem Schicksal der Flüchtlinge heute gezogen. Ipolt appellierte in einem KNA-Interview an die Heimatvertriebenen und ihre Familien, sich besonders für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zu engagieren. „Sie sollten heute ein wenig von der Gastfreundschaft zurückgeben“, die sie damals erlebt hätten. „Das wäre aus meiner Sicht eine ideale Form der Erinnerung“, sagte er der Katholischen Nachrichtenagentur.

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