Piszcz würdigt Bischof Kaller als guten Hirten
von Norbert Block
Der emeritierte ermländische Erzbischof, Edmund Piszcz, hat bei seiner Predigt aus Anlass der Ermländer-Wallfahrt nach Werl über die Bibelstelle des guten Hirten gepredigt. Dabei hat er an den letzten deutschen Bischof des Ermlands, Maximilian Kaller erinnert, der vor 70 Jahren an der gleichen Stelle in der Wallfahrtsbasilika von Werl gepredigt hatte. "Christus war seine Tür, durch die er nicht nur mit seiner eifrigen priesterlichen und bischöflichen Arbeit eingetreten ist, sondern auch mit seinem Leiden und seinem Tode", so der Erzbischof. "Es unterliegt keinem Zweifel, dass er durch das schmale Tor des Evangeliums eingetreten ist, denn er hat von sich selbst verlangt und gespürt, dass die ihm anvertraute ermländische Herde Gott treu war und den Nächsten liebte. Er war der gute Hirt...", betonte Piszcz.
Wir dokumentieren seine Predigt hier im Wortlaut:
"Hochwürdigster Herr Prälat Achim Brennecke,
lieber Visitator emeritus Prälat Lothar Schlegel,
liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt,
liebe Ermländerinnen und Ermländer,
liebe Schwestern und Brüder in Christus.
Jesus hat sich einmal als der GUTE HIRT bezeichnet. Dieser Vergleich war den damaligen Hörern sehr nahe; denn die Israeliten waren ein Hirtenvolk und bildeten mit den Schafen zusammen ein familiäres Ganzes. Die Schafe gaben Milch, Wolle und Fleisch, waren also sehr nützlich. Von daher war der Vergleich Jesu mit einem Hirten, der Schafe weidet, sehr klar und verständlich.
Im heutigen Evangelium weitet Jesus diesen Vergleich noch um eine Wahrheit aus: dass ER nämlich die TÜR ZU DEN SCHAFEN ist. Und er fügt hinzu: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, EINZELN BEIM NAMEN und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme“ (Joh 10, 1-4).
Im Evangelium lesen wir, dass die Hörer den Sinn dessen nicht verstanden haben, was ER ihnen sagte. Also erklärt ihnen Jesus noch einmal, dass ER DIE TÜR ZU DEN SCHAFEN IST UND DASS ER GEKOMMEN IST, DAMIT SIE DAS LEBEN HABEN - und es in Fülle haben. Worüber will Jesus uns belehren, wenn ER von sich sagt, dass ER die Tür zu den Schafen ist?
Die Tür ist der Ort, durch den man rein und raus geht. Die Tür ist Teil einer Umzäunung, die man vielleicht überwinden kann, aber das wäre ein illegaler Zutritt, der von bösen Absichten zeugt. Denn man geht durch die Tür, die der einzige wirkliche Zugang ist. Diese Tür wird zu bestimmten Tageszeiten geöffnet und geschlossen.
Von daher ist jede Tür eine Eingangstür und eine Ausgangstür. Diese beiden Eigenschaften muss man auf Christus beziehen, der sich mit einer Tür verglichen hat. Der Evangelist betont, dass die Apostel diesen Vergleich nicht verstanden haben. Vielleicht deswegen, weil er sich auf das Osterlamm, also auf die Auferstehung, bezog. Später erst haben sie begriffen, dass Jesus ihnen mit seinem Tod etwas geöffnet hat, dass ER zur TÜR DES HEILS geworden ist. ER hat allen den HIMMEL geöffnet. Allen gab ER die Chance, durch den Glauben und ein treues Leben nach den Zehn Geboten hineingelangen zu können. Denn ER sagt: „Wer an mich glaubt, wird LEBEN, auch wenn er stirbt“ (Joh 11, 25). Und weiter: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6). Als erstes hat ER sich also mit einem WEG verglichen. Der Weg ist die Erfindung des Menschen, die den Kontakt anderen erleichtert. Er führt auch zu einem bestimmten Ziel. Mit dem Weg gelangt man dorthin, wo man ankommen wollte. Christus ist deshalb ein Weg, weil ER Gott mit den Menschen verbindet, den Himmel mit der Erde. Der Weg endet dort, wo die Tür beginnt. Durch die Tür gelangt man zum Ziel der Reise. Dass Jesus die Tür ist, hat der heilige Apostel Petrus trefflich vor dem Hohen Rat der Juden zusammengefasst, indem er sagte, dass außer in Jesus „in keinem andern das Heil zu finden ist. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4, 12). Von daher ist der Glaube an Jesus die Tür, durch die man zum Ewigen Leben gelangt.
Ich sagte, dass die Tür die Stelle ist, an der man rein und raus geht. Fragen wir uns also, in welchem Sinn ER die Tür ist, durch die man hindurch geht ?
Den Aposteln hat ER so manches Mal gesagt: „Fürchtet euch nicht“ (Joh 14, 27). ER ist also die Tür, durch die man aus seinen Ängsten heraustritt, ebenso aus den Situationen, die die Ursache für diese Ängste sind. Wenn Jesus sich mit einer Tür vergleicht, sagt ER sozusagen: Tritt aus deinen Ängsten heraus, tritt aus deinen Zweifeln, tritt aus deiner Eigenliebe heraus. Tritt aus all dem heraus, was dein Leben erschwert. Tritt heraus aus deiner Verzweiflung, aus deinen Schwächen, deinen Süchten. Tritt aus all dem heraus, um wirklich f r e i zu sein. Und tritt gleichzeitig durch die Tür ein, die Jesus ist. Tritt ein mit deiner Hoffnung, tritt ein mit deiner Wahrheit, tritt ein mit deiner moralischen Armut, tritt ein mit allem, was dir weh tut. Tritt durch diese Tür ein, dann dahinter liegt das Heil.
Natürlich zwingt Jesus niemanden. ER achtet unseren freien Willen, und was ER uns macht, ist ein Angebot. Hoffentlich verstehen wir es anzunehmen.
Als Hirte seiner Schafe hat Jesus gesagt, dass ER SEINE SCHAFE BEIM NAMEN RUFT. Was bedeutet das ? Das bedeutet, dass ER sich jedem Menschen individuell zuwendet. Gott behandelt uns nicht als eine Masse, denn der Begriff der Herde könnte solche Gedanken aufkommen lassen. Gott behandelt jeden von uns einzeln für sich. Denn jeder von uns ist anders und dieses Anderssein achtet Gott und richtet danach seine Gnade.
Wichtig ist auch der letzte Satz des heutigen Evangeliums. „Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10, 10). - Im Allgemeinen ist es so, dass wir unter Leben nur das irdische Leben verstehen. Zu diesem Leben gehören Trauer und Freude, Sicherheit und Zweifel, Liebe und Hass, Wahrheit und Lüge, also ein Leben der Schmerzen und Enttäuschungen. Aber Jesus spricht von einem anderen Leben. Von einem Leben, für das der Mensch bestimmt ist. Es geht also um das Ewige Leben. Vom Erreichen dieses Lebens spricht Jesus mit den Worten: „Geht durch das enge Tor ! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin ist schmal und nur wenige finden ihn“ (Mt 7, 13-14).
Diese Ermahnung Jesu enthält die Wahrheit über die Notwendigkeit, etwas von sich selbst zu verlangen, die Wahrheit über die Verantwortung für die Nutzung der Gabe der Freiheit. Denn die Freiheit öffnet den Weg sowohl in Richtung des Guten als auch in Richtung des Bösen. Die Bestimmung des Menschen ist das Ewige Leben, der Himmel, von dem wir keine Vorstellung haben, weil er unseren Verstand übersteigt. Doch wir glauben, dass es so wird. Gott bestimmt keinen Menschen für die Hölle, von der ER manchmal spricht. Der Mensch fällt selbst die Wahl und entscheidet sich selbst für die Verdammung, wenn er sich durch Todsünden von Gott abwendet und darin bis zum Ende seines Lebens verharrt. Denken wir daran, dass wir uns selbst das Urteil sprechen mit unserem entweder guten oder bösen Alltag.
Jesus als der Gute Hirt wünscht das ewige Leben für einen jeden von uns. ER wünscht uns die Glückseligkeit, die unsere Vorstellungskraft übertrifft. Das drückt der heilige Paulus im ersten Korintherbrief wie folgt aus: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2, 9).
Jesus ist die Tür zu den Schafen. Man geht also durch SEINE Wahrheit und SEINE Liebe. Diese beiden Werte führen uns zur Vereinigung mit IHM im Ewigen Leben.
Diese Betrachtung über den Guten Hirten lässt uns an die Person des ermländischen Bischofs Maximilian Kaller denken, der vor 70 Jahren in die Ewigkeit gegangen ist. Christus war seine Tür, durch die er nicht nur mit seiner eifrigen priesterlichen und bischöflichen Arbeit eingetreten ist, sondern auch mit seinem Leiden und seinem Tode. Es unterliegt keinem Zweifel, dass er durch das schmale Tor des Evangeliums eingetreten ist, denn er hat von sich selbst verlangt und gespürt, dass die ihm anvertraute ermländische Herde Gott treu war und den Nächsten liebte. Er war der gute Hirt, auf den ich die Worte Jesu aus dem Lukasevangelium beziehen möchte:
„Der Geist des Herrn ruht auf mir;
denn der Herr hat mich gesalbt.
ER hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Blinden das Augenlicht“ (Lk 4, 18).
Ich meine, dass es sein Wunsch war, dass jeder von uns ein guter Hirt wird, da wo er ist, in seiner Familie, in seiner Ehe, in der Begegnung mit dem Nächsten, durch die Wahrheit und die Liebe. Auch durch die Güte; denn wo die Güte ist, da ist immer auch Gott. Amen."